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  • Anette Schwohl

Von der Weitergabe von Traumata


Meine Geburtsstadt ist Neumünster. Neumünster verleiht alle zwei Jahre den mit 10.000 € dotierten Hans Fallada-Preis. Im Jahr 2018 ging dieser Preis an Sandra Hoffmann für ihr Buch „Paula“.


Paula ist die Großmutter der Erzählerin. Ein großes Geheimnis umgibt diese Frau. Niemand weiß um den Großvater der Erzählerin. Die Großmutter hütet ihr Geheimnis.


Die Stimmung, die diese Geschichte erzeugt, ist diffus, dumpf und beklemmend. Tochter, Mutter und Großmutter leben unter einem Dach und die nicht erzählte Geschichte der Großmutter liegt wie ein Leichentuch über diesen drei Frauen. Aber es ist das Leichentuch der Großmutter. Es ist nicht das der Tochter und der Enkeltochter, die eigentlich ein eigenes Leben verdient hätten. Die alles kontrollierende und vereinnahmende Großmutter hockt da in ihrem Dachgeschoss wie ein böser Geist.


Nein, es ist keine Horrorgeschichte! Es ist eine Geschichte, wie sie wohl zuhauf Frauen meiner Generation und der meiner Mutter widerfahren ist.

Der Krieg bzw. die Nazizeit hat mächtige Spuren hinterlassen und hinterlässt sie bis in meine Generation. Da gibt es Verlust, Gewalt, Trauer und Wut - bis heute unausgesprochen; wir aber spüren es trotzdem unter dem großen Haufen des Verdrängten, aber wir können es nicht konkret benennen.


Da gibt diesen Satz: „Später werde ich sagen: Meine Großmutter kann nicht unterscheiden zwischen sich selbst und mir, ihrer Enkelin.“


Das ist für mich der zentrale Satz in diesem Buch!


Es gibt mittlerweile Literatur zu dem Phänomen der Kriegsenkel-Generaton, meiner Generation. Die Traumata des Kriegserleben wirken bis in unsere Generation weiter. Wir leiden unter diffusen Angstzuständen, unter Depressionen, unter Panikattacken ohne zu wissen, woher es kommen mag.


Die Autorin erzählt anhand von Fotos, von Gegenständen und von dem Wenigen, das ihr erzählt wird. Und sie räumt ein, dass es so sein kann, wie sie es erzählt, dass es aber auch sein kann, dass es ganz anders war. Das macht die diffuse Atmosphäre des Buches aus.


Die Geschichten, die Hoffmann erzählt und wie sie sie erzählt, sind großartig, berührend und sprachgewaltig.

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